Andrea Eckert / MEISTER-
KLASSE / Reflektor Festival Elbphil-harmonie


Meisterklasse
von Terence McNally
Inszenierung des Wiener Volkstheaters von Arie Zinger
Im Rahmen des Reflektor-Festivals in der Elbphilharmonie am 20. März 2024
Weitere Infos über das Festival unter elbphilharmonie.de

“Das Filettieren der Meisterklassen-Teilnehmer bekommt dieses Callas-Double mit wenigen, meist abschätzenden Blicken und waffenscheinpflichtigen Oneliner-Anordnungen bestens freihändig hin. Und ohnehin trägt und treibt das Charisma Eckerts das gesamte Stück, sobald sie ins Rampenlicht einschwebt wie diese überlebenssensible Diven-Erscheinung namens Callas, die sie war.“

„Eine Diva wird man nicht ungestraft“, erkannte die Wiener Schauspielerin Andrea Eckert beim Nachdenken über diese ihre Lebens-Theaterrolle. „Eine richtige Diva hat immer Grund, Diva zu sein. Aufgrund dessen, was es sie kostet. Aufgrund dessen, was sie gibt, was sie herschenkt. Sich selber nämlich.“ Grausam, aber: nun mal wahr.

Seit mehr als einem Vierteljahrhundert verkörpert und nähert Eckert sich inzwischen der einzigartigen Maria Callas (1923–1977), so wie Terrence McNally sie in seinem Theater-Klassiker „Meisterklasse“ aus dem allerhärtesten Primadonnen-Marmor her-ausmeißelte. Am Wiener Volkstheater ist Arie Zingers Inszenierung ein Ewigkeitswert geworden, André Heller hat sie (die 200. Vorstellung sogar) für sein Reflektor-Festival in die Elbphilharmonie exportiert.

Schon deswegen eine passende Idee, weil ein sensationelles Foto der Callas – Laeiszhalle, 1962, volles Diven-Ornat – alle ankommenden Künstlerinnen und Künstler direkt hinter dem Künstlereingang der Elbphilharmonie einnordet und warnt, wie hoch gerade in diesem Konzerthaus die zu überwältigende Latte hängt. Und es gilt für das Ein-Frauen-Ereignis Andrea Eckert, was Herbert von Karajan über seine Arbeit mit „La Divina“ so anerkennend wie von sehr weit oben herab zugestand: „Sie war ebenbürtig.“

Ein Flügel mitsamt devot zuarbeitendem Korrepetitor, zwei Paravents für Auf- und Abgänge, ein hoher Stuhl („Wo ist mein Fußschemel!?“), ein Strauß Rosen, ein Glas Wasser und die Rückwand des Saals als Projektionsfläche für originaltönende Erinnerungen – mehr Bühne braucht es nicht für diesen Zweistünder. Das Filettieren der Meisterklassen-Teilnehmer bekommt dieses Callas-Double mit wenigen, meist abschätzenden Blicken und waffenscheinpflichtigen Oneliner-Anordnungen bestens freihändig hin. Und ohnehin trägt und treibt das Charisma Eckerts das gesamte Stück, sobald sie ins Rampenlicht einschwebt wie diese überlebenssensible Diven-Erscheinung namens Callas, die sie war.

Die erste aufstrebende Sopranistin (Claudia Emà Camie) möchte Bellinis Schlafwandelnde singen und schafft es im Auftritts-Anlauf, was eh klar war, nicht mal bis zum ersten Ton. Eine andere (Teresa Gardner) will Verdis Lady Macbeth wagen und wird, zum Warmwerden ihrer sehnigen Schleiferin im kleinen Schwarzen, flott von der Bühne vergrätzt. Und auch der natürlich seidenbeschalte Tenor (Pablo Cameselle) wird vor den gespannt Zuhörenden komplett rundgemacht und in jammernde Einzelteile zerlegt, bevor er es mit Puccinis Cavaradossi aufnehmen und sich doch noch beweisen darf.

Oft ist das auf den ersten Anblick sehr lustig, noch öfter ist es auch schmerzhaft wahr, was diese Bühnen-Callas über ihre Berufung sagt und wie frontal sie es ihrem zunächst eingeschüchtert vorsingenden Kindergarten als Vorsorgemaßnahme einbläut: „Jede Vorstellung ist ein Kampf“ – mit sich, seinen Ängsten, seinen Hoffnungen, für die Kunst, womöglich aber auch noch mit dem Publikum.

Doch sie alle, sosehr sie sich auch verbessern mögen, sind nur Statisterie für die Auftritte, in denen diese Callas sich stolz und verzweifelt einsam an überlebte Höhepunkte ihrer Karriere erinnert. Der Saal verdunkelt sich, aus den Lautsprechern kommt die wahre, wirkliche, zeitlos ergreifende Stimme der Callas, und es wird Zeit für ehrfürchtige Gänsehaut. Weil Eckert in dieser Musik aufgeht und ihre Botschafterin wieder lebendig werden lässt. Und dann ist es, so ist es mit Musik nun mal: vorbei.” (Hamburger Abendblatt, 21. März 2024, Joachim Mischke, abendblatt.de)


Fotos ©Josef Polleross