LORENA EMMI MAYER /

ALICE VERSCHWINDET



Alice verschwindet
von Selma Matter und Marie Lucienne Verse
Regie,Choreografie: Valerie Voigt,
Bühne und Kostüme: Thomas Garvie,
Musik: Veronika König aka Farce,
Dramaturgie: Wiebke Melle.
Mit:
Gunda Schanderer, Lorena Emmi Mayer, Nataya Sam, Andressa Miyazato.
Uraufführung am 4. Dezember 2022
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

Fotos: Petra Moser

www.landestheater-linz.at


Selma Matter und Marie Lucienne Verse verkaufen in diesem Text alte Hüte der Psychologie, doch die sitzen passgenau auch auf jungen Köpfen. Das rechtfertigt das Unternehmen. Der Text ist dramaturgisch stringent gebaut, verlangt nach präziser Sprache und kontrollierter Emotion. Das lösen Gunda Schanderer, Lorena Emmi Mayer und Nataya Sam auf der Studiobühne des Linzer Landestheaters bestens ein. Das Kammerspiel braucht auch die unmittelbare Nähe zum Publikum.

Regisseurin Valerie Voigt hat sich von Thomas Garvie einen Quader bauen lassen mit transparenten Wänden. Dort drinnen ist Alice gefangen – die Tänzerin Andressa Miyazato mit wasserstoffblonder Perücke und maskenhaft geschminktem Gesicht. Am Beginn wird sie von blauen Bändern rundum gehalten, an jeder freien Bewegung im ohnedies kleinen Raum gehindert. Diese Fesseln müssen erst abgerissen werden, aber auch dann wird Alice in ihrem Gefängnis verharren, wird sie sich nur körpersprachlich äußern. Sie bleibt eine Existenz ohne Worte. Die Töchter umschleichen das Seelen-Verlies ihrer Mutter.

Freilich kommen die Jungen gelegentlich auf Besuch, steigen ein in den abgeschlossenen Seelen-Quader, aber das bleiben choreographische Kürzest-Episoden. Es ist eben zu lange geschwiegen worden, da ist keine Tür mehr zu einem Gespräch. Alice ist nicht erst jetzt verschwunden, sie und ihre Töchter sind einander schon in deren Kindertagen abhanden gekommen, weil das Offensichtliche eben nicht benannt wurde, nicht hat benannt werden dürfen. "Alle schauen irgendwie nach unten", heißt es einmal.

Der Körpersprache, dem Tanz kommt ein entsprechend hoher Stellenwert zu in dieser Inszenierung. Am Ende wird Alice herausgeholt, eigentlich herausgezwungen aus ihrem Seelenverlies. Es kommt zu einem Anflug von Nähe – und doch machen sich die vier Frauen zuletzt jede in eine andere Richtung davon. Das Schweigen zwischen den Generationen ist nicht zu brechen.