RUTH BRAUER-KVAM / Regie / Herr Puntila und sein Knecht Matti / Landestheater St. Pölten
Aus: Die Presse / 14.01.22 / Thomas Kramar
Kann man Brechts Lehrstück-Schwank „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ heute noch spielen? Ruth Brauer-Kvam gelingt es am Landestheater Niederösterreich mit einem eleganten feministischen Dreh. Zu sehen in St. Pölten.
Alles beginnt mit Eva. In dieser Inszenierung mit Eva, der Tochter des Gutsherren Puntila. Zu allererst macht sie ein Foto. Dann spricht sie selbst – nicht, wie von Bertolt Brecht vorgeschrieben, das Kuhmädchen – den Prolog. Dann fällt der schwere rote Vorhang zu Boden, und das Spiel kann beginnen . . .
Ein derbes, ein lustiges Spiel. Ein Schwank. Zugleich ein Lehrstück: Brecht will uns erklären, wie das so ist, wie das sein muss mit den Herren und den Knechten. Passt das zusammen? Stört der ständig sichtbare Zeigefinger nicht? Er tat es in etlichen Inszenierungen von „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ (das ist vielleicht der Grund, warum das Stück auf Wiener Bühnen in letzter Zeit selten zu sehen war). Er tut es nicht in Ruth Brauer-Kvams Inszenierung, die das ohnehin nuancenreiche Verhältnis zwischen dem im nüchternen Zustand herrischen und im Rausch menschlichen Puntila und dem schlauen Matti weiter nuanciert. Indem sie eine dritte Figur groß macht: Puntilas Tochter Eva eben. Sie ist in St. Pölten kein Spielball mehr, sondern fast die Spielmacherin. Nur fast: Denn man kann Brecht nicht völlig gegen sein – im Grunde anti-sozialdemokratisches – Dogma spielen, dass die Verhältnisse nicht zu verbessern, sondern nur zu stürzen seien. Aber man kann subtil mit diesem Dogma spielen. Der Macho im coolen Knecht
Die Aufwertung der Eva wirft auch ein neues Licht auf die finale Wendung, in der Matti die von Puntila (vom betrunkenen Puntila natürlich!) offerierte Ehe mit Eva doch ausschlägt. Seine Begründung wirkt ja – wie sonst erstaunlich wenig in diesem 80 Jahre alten Stück – anachronistisch: Als Chauffeursfrau sei Eva nicht geeignet, weil sie nicht bereit sei, ihrem Mann die Socken zu stopfen und brav still zu sein, wenn er von der Arbeit heimkommt. Bei Brecht verschwindet Eva nach der Abfuhr, bei Brauer-Kvam bleibt sie auf der Bühne, unter der künstlichen Sonne der Discokugel, mit gepackten Koffern freilich: Wie Matti verlässt sie Puntilas Land, das letzte Wort behält sie, und sie schießt auch noch das letzte Foto.
Laura Laufenberg drückt die besondere Rolle der Eva perfekt aus: Sie kann schlau und naiv zugleich dreinsehen, sie hat ihre Mimik so gut unter Kontrolle wie das Spiel, bei ihrem Flirt mit Matti ertappt man sich dabei, Brechts berühmtes Verbot zu missachten und romantisch zu glotzen, so bezaubernd spielt sie die Frau, die ihre Gefühle entdeckt, ohne ihren Verstand zu verlieren. Tim Breyvogel legt den Matti naheliegenderweise wie eine Figur des finnischen Filmemachers Aki Kaurismäki an, mit fettigem Vokuhila und lakonischem Blick rührt er nicht nur Evas Herz. Tilman Rose ist ein kernweicher, gnadenlos sympathischer Puntila, sogar wenn er nüchtern ist, man spürt: Er kann nichts dafür, dass er Feudalherr ist, die Verführung zur Güte übermannt ihn. Ausgezeichnetes Ensemble
Rundherum um dieses Personendreieck tummeln sich diverse Figuren, die Brauer-Kvam nicht als Charaktere zeichnet, sondern als komische Rollen, um nicht Knallchargen zu sagen. Eine akzeptable Entscheidung, gefördert auch durch die Knappheit des – ausgezeichneten – St. Pöltner Ensembles, die Doppel- und Dreifachbesetzungen notwendig macht. Marthe Lola Deutschmann ist ein gefährlich überspanntes Apothekerfräulein, Michael Scherff zeigt, dass er sich auch auf schwäbischen Zungenschlag versteht, nur zum Beispiel. Alles stolpert, rüpelt und rauft, der Bund der Bräute des Herrn Puntila fleht.
Bei aller Überzeichnung wird der Klamauk in den meist kräftig karierten Kostümen Ursula Gaisböcks nie sinnlos. Kyrre Kvam hat Paul Dessaus Musik geschickt überarbeitet und mit finnischen Tango-Elementen angereichert, Breyvogel (am Schlagzeug) und Laufenberg (am Cello) spielen öfter heftig mit. Auch dabei brillieren sie. Mit ihnen und Brauer-Kvam würde man gern noch das ein oder andere Brecht-Stück revitalisiert sehen.