Victoria Hauer / Frühlings Erwachen / TdJ Wien



nach Frank Wedekind

Regie Thomas Birkmeir
Bühnenbild Andreas Lungenschmid
Kostümbild Irmgard Kersting
Licht Lukas Kaltenbäck
Dramaturgie Gerald Maria Bauer
Assistenz und Inspizienz Viktoria Klampfl
Hospitanz Natalie Ogris

Mit:
Victoria Hauer, Simone Kabst, Ludwig Wendelin Weißenberger, Curdin Caviezel, Shirina Granmayeh, Claudia Waldherr, Robin Jentys, Jakob Pinter, Haris Ademovic, Claudia Waldherr

Premiere 24. März 2023 Wh.:29., 30. März, 11.- 15., 17.-21., 24.-26. April 


“Was haben Smartphones, Genderfluidität und das F-Wort in einem gut 130 Jahre alten Stück zu suchen? Regisseur Thomas Birkmeir hat Frank Wedekinds 1891 erschienenes Drama "Frühlings Erwachen" für das Theater der Jugend auf seinen gegenwärtigen Gehalt befragt und zeigt, dass die Nöte der Pubertät auch unter anderen Vorzeichen immer noch dieselben sind. Eine geglückte wie beklemmende Überschreibung für die Generation Z, die im Wiener Renaissancetheater am Freitag Premiere hatte.

Das Geschehen spielt sich im Wesentlichen auf einem gekippten Boden ab, der von unten beleuchtet wird und durch variable Farbgebungen unterschiedliche Lichtstimmungen erzeugt. Die räumliche Umgebung wird lediglich durch Licht-Schatten-Projektionen auf einen dunklen Hintergrund skizziert. Schnell wird klar: Es geht nicht um poppige Effekte oder multimediales Brimborium. Im Fokus stehen die Figuren, ihr Umgang miteinander und mit ihrer Suche nach Anerkennung, Orientierung und Erlösung von Leistungsdruck und Weltschmerz.

Auch wenn Birkmeir sehr freizügig mit Wedekinds Text umgeht, hält er sich doch recht strikt an die eigentliche Geschichte und ihren tragischen Verlauf. Die Teenager Moritz (Ludwig Wendelin Weißenberger), Melchior (Curdin Caviezel) und Wendla (Victoria Hauer) kämpfen mit ihrem aufkeimenden sexuellen Begehren und der damit einhergehenden Verunsicherung, schulischen Versagensängsten, dem Gruppendruck unter Gleichaltrigen, die sich mit einer Arschloch-Attitüde gegen ihre eigene Fragilität panzern, und verständnislosen bis gefühlskalten Eltern. "Warum muss jede Generation immer denselben Scheiß durchmachen?", fragt Melchior einmal.

Dass die Nöte der Jugend in der Wilhelminischen Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts etwas anders grundiert waren als sie es heutzutage sind, versteht sich von selbst. Also streitet Wendla zu Beginn mit ihrer Mutter nicht mehr über die Länge ihres Kleides, sondern über ein Tattoo, das sie sich stechen lassen will. Rigide Moralvorstellungen und vorgefertigte Lebensläufe sind via Smartphone stets verfügbaren Pornos und einem "Overkill an Wahlmöglichkeiten" gewichen, angesichts derer man am liebsten "verrecken" möchte. Mitschüler werden durch das Versenden intimer Aufnahmen über Social Media beschämt, leistungssteigernde Drogen sollen zum schulischen Erfolg verhelfen.

"Ich zu sein und 15 ist das Schlimmste, was ich bisher erlebt habe", sagt Moritz einmal. Er zerbricht an den scheinbar nicht erfüllbaren Anforderungen des Lebens und begeht Selbstmord. Und auch für Wendla geht es nicht gut aus. Sie stirbt an Komplikationen einer ungewollten Schwangerschaft - noch bevor sie dem Druck ihrer Mutter nachgeben kann abzutreiben. Lediglich Melchior, trotz nihilistischer Grundhaltung mit einer gewissen Robustheit ausgestattet, entscheidet sich zum (...) am Grab seines Freundes, dem er eigentlich in den Tod nachfolgen will, für das Leben.

Regisseur und Ensemble muten mit ihrer zweieinhalbstündigen Neuinterpretation von "Frühlings Erwachen" dem jungen Publikum einiges zu. Körperliche und seelische Gewalt, Suizid, Lieblosigkeit, Selbstoptimierungszwang, Leistungsdruck - all das wird auf ernste und zugleich unverkrampfte Weise verhandelt. Birkmeir gelingt eine zeitgemäße Wedekind-Version, die weder einem aufgesetzt-peinlichen Jugendjargon erliegt, noch ein pädagogisches Programm mit Fingerzeig ausrollt. Ein hartes Stück über die harte Zeit zwischen Kindsein und Erwachsensein.” (Salzburger Nachrichten, Thomas Rieder)